Wie krank ist unsere Gesellschaft?

In den letzten Woche liefen ein paar interessante Reportagen auf arte und ein Kurzbeitrag in den tagesthemen zu den Themen Burn-Out-Syndrom, Depressionen und Pillenmissbrauch in unserer (und auch der französischen) Gesellschaft. Alles in allem war das für mich sehr ernüchternd, obwohl ich selber schon öfters in meinen Blogs darüber geschrieben habe und selber viele einschlägige Beispiele aufzählen kann. Doch das Ausmaß ist schon erschreckend.

Es wurde unter anderem davon gesprochen, dass ca. 90% der Deutschen mit ihrem Arbeitsplatz unzufrieden sind, oder anders formuliert: ganze 10% sollen froh sein über ihre Beschäftigung und mit Begeisterung ihrer Tätigkeit nachgehen. Inwieweit diese Zahlen zutreffen mögen, kann ich nicht sagen; doch der Trend ist eindeutig: er geht deutlich ins Negative, und das schon seit Jahren. Das gibt im Prinzip auch nur wieder, was ich in zahlreichen persönlichen Gesprächen nachvollziehen konnte: zu viel Stress, zu hohe Leistungsanforderungen und zu viel Erwartungsdruck bei gleichzeitig viel zu wenig Anerkennung und menschliche Würdigung.

Die immer Höher-Schneller-Weiter-Mentalität scheint an ihre Grenzen zu kommen: die Finanzkrise ist vielleicht nur eine Spitze von vielen Eisbergen. Die Ursachen liegen meiner Meinung nach klar auf der Hand: unrealistisches Profitstreben und übertriebenes Leistungsdenken, die eine unerbarmliche Konkurrenzmentalität nach sich ziehen, gepaart mit ungezügeltem Konsumdenken, welche auf Dauer den einzelnen Menschen und damit auch die Gesellschaft zerstören. Wenn Leute an der Spitze von großen Konzernen stehen, die jährlich Renditen im zweistelligen Prozentbereich versprechen, dann finde ich das krank und realitätsfern.

Doch man braucht nicht bei den Großkopferten anfangen. Das Problem fängt im Kleinen schon an, wenn einfache Bürger die „Geiz-ist-geil-Mentalität“ verinnerlichen und immer nur auf der Jagd nach dem nächsten Schnäppchen sind.  Wieso kauft man nicht einfach mal das qualitativ hochwertigere Produkt statt des billigsten? Ein wenig auf den Geldbeutel zu achten, ist ja durchaus vernünftig; aber übertreiben muss man es auch nicht.

Mit am schlimmsten ist aber, dass vor allem auch junge Menschen immer größere Zukunftsängste haben, perspektivlos sind und Selbstvertrauen verlieren. Wer gestern den Report aus München gesehen hat, der konnte einen schlimmen Auswuchs dieser Perspektivlosigkeit nachvollziehen.

Der Leistungsdruck in unserer Gesellschaft scheint immer stärker zu werden: Menschen haben Angst, ihren Job zu verlieren; machen deswegen unbezahlte überstunden und lassen sich weniger krank schreiben. Schüler und Studenten haben Angst, überhaupt Arbeit zu bekommen, haben Angst zu versagen. Dass es sich an Deutschlands Unis mittlerweile eingebürgert hat, vor den Klausuren (vor allem im schönen Bachelor-Studiengang) zu leistungssteigernden Drogen Medikamenten wie Ritalin, Modafinil oder irgendwelchen Betablockern zu greifen, um mehr leisten zu können, ist ein offenes Geheimnis.

Diskussionen im Audimax der LMU mit dem bayerischen Wissenschaftsminister HeubischDie Studentenproteste, die sich mittlerweile weltweit breit gemacht haben, gehen schon in die richtige Richtung, treffen den Kern aber nur mittelbar. Scheinbar geht es um Abschaffung der Studiengebühren, einen entzerrten Stundenplan in den Bachelor-Studiengängen (traurig genug, dass es an einer Universität so etwas wie einen vorgegebenen Studenplan gibt), mehr Demokratie in den Bildungsinstitutionen und eine Anti-Ökonomisierung dieser.

Doch die Fehlentwicklungen im Zusammenhang mit dem Bologna-Prozess hängen sicher auch mit einem falschen Verständnis von Leistung zusammen; ein Leistungsbegriff, der vorwiegend aus der Wirtschaft kommt und an die Profit-Maximierung angelehnt ist, kann auf Dauer nicht gesund sein.

Wir alle wollen Leistung zeigen – aber nicht um jeden Preis. Wenn bei übertriebenem Leistung- und Profitstreben Menschen auf der Strecke bleiben und krank werden, dann läuft etwas schief. Die ganze Gesellschaft muss sich die Frage stellen, ob sie das in dieser Form so weiter treiben will oder nicht. Dass hierbei Diskussionsbedarf besteht, dürfte mittlerweile offenkundig sein.

12 Antworten auf „Wie krank ist unsere Gesellschaft?“

  1. Zum einen Leistungsdruck, Konkurenzkampf und -denken, die Rechnungen und Teuerungen kommen so schnell geflattert, wie man nicht gucken kann…
    Und dann? Wer rennt denn nach den Schnäppchen (und hat die Zeit dafür?) Doch nicht die gestresste arbeitende Bevölkerung (oder studierende). Wer hat den Einkaufskorb am vollsten und den größten Quatsch für quengelnde Kinder im Wagen?
    Diejenigen, die sich um Miete, GEZ, und andere Grundbedürfnisse nicht den Rücken krumm buckeln müssen… aber dann noch nach dem größten Fernseher schreien (tja, die könnten sich die Volksverblödung ja auch den ganzen Tag antun…). Schieflage. Bis es kippt.

  2. Sehr guter Artikel. Die Thematik beschäftigt mich auch sehr stark. Ich teile deine Bewertung insbesondere hinsichtlich der schlimmen Auswirkungen der Veränderungen am Arbeitsplatz. Wir leben in einer zunehmend inhumanen Arbeitswelt, in der der einzelne Mensch zum Humankapital degeneriert worden ist. Eigentlich ist es eigenartig, dass sich die Menschen dagegen nicht wehren.

    Die Reportsendung von gestern hat mich auch sehr berührt. Die beiden jungen Männer haben ein furchtbares Verbrechen begangen, für das man kein Verständnis aufbringen darf. Trotzdem haben mich die Aufzeichnungen des einen jungen Mannes doch sehr nachdenklich gemacht. Auch die Mutter des einen Täters hat bei mir Eindruck hinterlassen. Vor allem den, dass dieser Mörder aus der Mitte der Gesellschaft kam, aus einer ganz normalen Familie. Jedenfalls hat der Bericht diesen Eindruck bei mir hinterlassen. Umso ratloser lässt einen die furchtbare Tat zurück. Es gibt eine zunehmende Zahl von Jugendlichen (natürlich auch unter den Migranten), denen unsere Gesellschaft keine wirkliche Chance gibt. Man kann feststellen, dass jeder seines Glückes Schmied ist aber man muss eben auch sehen, dass nicht jeder die Realschule und das Gymnasium schafft. Und diese Jugendlichen dürfen nicht einfach aufgegeben werden. Genau diesen Eindruck hat man aber heute, weil der Arbeitsmarkt keine Möglichkeiten bietet – es sei denn, man verfügt über Beziehungen und/oder viel Glück.

  3. Hi Miki,

    das ist sicherlich noch ein weiteres Problem: immer weniger Leistungsträger müssen für immer mehr Steuern aufkommen. Ich kenne aus dem persönlichen Umfeld Leute, die jahrelang massiv (an die 40%) Steuern gezahlt haben und dann selber um jeden besch… Euro kämpfen müssen, wenn sie selbst einmal Unterstützung brauchen. Das kann nicht gerecht sein

  4. Hi ap,

    vielen Dank für das Feedback. Das mit dem zum Humankapital degenerierten Menschen trifft es ganz gut; ich vermute, dass viele der betroffenen Arbeitnehmer einfach zu schwach sind, um sich gegen diese Bedingungen aufzulehnen und evtl. auch einfach Angst haben vor den Konsequenzen. Was soll denn beispielsweise ein Familienvater mit vielen Pflichten und zwängen machen? Ein Murks, und er ist wegrationalisiert. Bei der jüngeren Generation kann man mittlerweile schon fast davon ausgehen, dass sie so konditioniert sind, kritiklos zu sein. Ich hoffe, dass jetzt mit den Studentenprotesten mal ein Ruck durch das Land geht und die Leute aufwachen, um für eine menschengerechtere und ausgeglichenere Zukunft zu streiten

  5. noch was zu Steuern zahlen und wenn man selbst mal was braucht…Ich war im vergangenen Jahr nach 13 Jahren durcharbeiten (7 Firmen glaub ich) 2 Monate arbeitslos. Jetzt verdiene ich zwar mehr als vorher und der Staat kassiert meine höheren Abgaben, aber sollte ich innerhalb der nächsten 4 Jahre nochmals arbeitslos werden, würde ich für 10 (!) Monate den „alten“Satz bekommen (obwohl ich nun mehr bezahlt habe), außerdem hätte ich nur Anspruch auf 10 Monate. Weil 2 Monate hatte ich ja nun bekommen. Vier Jahre? Da kann ja sonstwas passieren! Da wäre man besser dran, man sichert sich für solche Fälle selbst ab! Heutzutage das Level auf hohem Niveau zu halten ist nun mal schwierig, Jahresverträge üblich…. und ich verbessere mich, zahle, zahle, zahle und die rechnen nicht mal nach. Ich meine, ich hoffe, es geht mich nichts an, aber ist das nicht zum Kotzen?

  6. Ja das mit der Bemessungszeit min. 1 Jahr ist mies. Bevor ich mich selbstständg gemacht hatte, war ich auch mal in so einer Übergangszeit arbeitslos, da aber Projekte mit 1 Jahr Laufzeit in meiner Branche nicht üblich sind, wurde mein Beitrag nach einem Studentenjob bemessen, den ich ca. 10 Jahre zuvor gemacht hatte. Da kommt man sich dann als alleinverdiener in einer vierköpfigen Familie etwas verarscht vor. War glaube ich knapp die halbe Miete.

    Für die Zukunft der nächsten Generation sehe ich aber leider schwarz.
    Wünschen würde ich mir eher etwas im Sinne von Zeitgeist.
    http://video.google.com/videoplay?docid=1338572241371195960#docid=1352552668588051041

  7. Es ist ja nicht nur der Leistungsdruck, bei dem eine immer höhere Messlatte angelegt wird und die früher Millionenfachen „einfachen Jobs“ – mit denen im übrigen viele Menschen durchaus zufrieden waren und wohl auch heute wären – ins billige Ausland verlegt werden um den Profit zu erhöhen aber gar nicht zu merken dass Kaufkraft entzogen wird.

    Genau so schlimm ist teilweise auch die Faulheit, Bequemlichkeit und Unlust vieler Menschen überhaupt mal etwas zu tun, was außerhalb des Alltäglichen liegt.

    Allein in meinem Bekanntenkreis gibt es dafür zigfache Beispiele. Ein Elektriker, der mit seinem Job unzufrieden ist – dieses auch täglich seit 5 Jahren Gott und der Welt mitteilt und es dennoch nicht schafft auch nur eine (!!!!) Bewerbung zu schreiben um den Status zu ändern. Meckern ist eben einfacher als einige Stunden zu investieren um sich zu verändern.

    Oder wie wäre es mit einer Kinderbetreuerin die keinen Job findet und sich mit Gelegenheitsjobs als Tagesmutter über Wasser hält. Angeblich ist die Jobsuche aussichtslos – Ihr Leben sei gelaufen weil Sie sich damals für den falschen Job entschieden hat.

    Umschulung oder eine neue Ausbildung sind zu abstrakt um es in Angriff zu nehmen und so wird Sie weiter davon träumen was Sie hätte werden können, wenn Sie nicht diese eine Entscheidung falsch getroffen hätte. Im übrigen : Sie ist jetzt 25 Jahre alt………

    Es ist nicht der Leistungsdruck der uns das Leben versaut, sondern in erster Linie die eigene Dummheit.

  8. Hi Sven,

    vielen Dank für den kritischen Kommentar. Das sind sicherlich einige interessante Gedanken in Deinem Beitrag zu finden; bestimmt gibt es auch ein paar die nicht gerade durch eine vorbildliche Arbeitsmoral und zusätzliches Engagement auffallen. Was evtl. auch noch thematisiert werden könnte, wären Orientierungslosigkeit, Zukunfts- und Versagensangst, Flexibilität und mehr Selbstreflexivität

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